In traditionellen, industriellen Zeiten schienen sich Digitalisierung und sozioökologische Nachhaltigkeit gegenseitig auszuschließen. Die eine ist getrieben von umfassenden technologischen Veränderungen im Zuge des Internet of Things (IoT), von künstlicher Intelligenz (KI) und Robotics, mit dem wesentlichen Ziel Effizienzen in Wertschöpfungsprozessen zu heben. Die andere ist getrieben durch den Klimawandel, durch geopolitische Instabilität, ökologische und soziale Herausforderungen, welche einen neuen Ansatz der Priorisierung von Ressourcenschonung, Dekarbonisierung und ökosozialer Governance erfordern.
Digitalisierung und ökosoziale Nachhaltigkeit verstärken sich jedoch häufig gegenseitig.
Einerseits können Unternehmen beispielsweise mittels digitaler Technologien ihren ökologischen Fußabdruck reduzieren und Kreislaufwirtschaften aufbauen. Andererseits kann das Verständnis für Nachhaltigkeit und Konzepte wie Green Computing dazu beitragen, die Umweltauswirkungen von digitalen Technologien zu verringern, z.B. durch eine Senkung des Energieverbrauchs.
Dass Digitalisierung und Nachhaltigkeit zahlreiche Schnittmengen haben zeigt sich auch an der gemeinsamen Bedeutung strategischer Komponenten, wie Vernetzung und Kollaboration/ kollektive Intelligenz, Transparenz und Vertrauen, Plattformen und Sharing Economies.
Die Zusammenführung von digitalen Fähigkeiten und nachhaltigen Praktiken sollte daher an der Spitze des strategischen Denkens von Unternehmen stehen – als ein Weg um sich zu differenzieren und langfristige Tragfähigkeit und Daseinsberechtigung bei Kunden, Partnern, Regulatoren und lokalen Gemeinden zu erlangen. In der Tat könnte dies sogar wettbewerbsentscheidend sein.
Die Digitalisierung ist aus Nachhaltigkeitssicht dabei keinesfalls unproblematisch.
Es gibt eine ganze Reihe von Herausforderungen, die berücksichtigt und aktiv gelöst werden müssen. So nutzen wir beispielsweise im Kontext der Digitalisierung Unmengen an elektronischen Geräten. Diese sind sowohl aus Sicht des Rohstoffabbaus, des Energieverbrauchs als auch der Entsorgung problematisch. Häufig werden seltene Erden und andere Rohstoffe in krisenbehafteten Regionen und unter menschenunwürdigen Zuständen abgebaut, wodurch Missstände sozialer und ökologischer Art entstehen. Der Energieverbrauch durch Datennetzwerke, Datenzentren, Mobilfunk etc. steigt weiterhin drastisch an, und trägt so zur Verschärfung des globalen Klimawandels bei. Auch die Entsorgung technischer Geräte ist problembehaftet, da diese oft schädliche Stoffe wie Blei, Kadmium und bromierte Flammschutzmittel enthalten. Dabei wird Elektromüll häufig in Entwicklungsländer exportiert und unter suboptimalen Bedingungen „entsorgt“.
Und auch in den Industrieländern sind durch die Digitalisierung massive gesellschaftliche und ökologische Veränderungen zu erwarten. Millionen von Arbeitsplätzen sind durch zunehmende Automatisierung gefährdet. Auch wenn die Digitalisierung zweifelsohne neue Arbeitsplätze schaffen wird, so werden die gesellschaftlichen Konsequenzen dieses Umbruchs schwer wiegen und nach innovativen Lösungen verlangen.
Dies ist nur ein kleiner Auszug der Probleme und Herausforderungen, die die Digitalisierung mit sich bringt. Sind Digitalisierung und Nachhaltigkeit also doch ein Widerspruch?
Eine nachhaltige Ausprägung der Digitalisierung ist möglich, wie zahlreiche Use Cases bestätigen.
So zeigt beispielsweise eine Studie von PwC über 80 Use Cases alleine für die Anwendung von Künstlicher Intelligenz im Bereich Umweltschutz. Auch Osburg (2017) findet verschiedene Beispiele dafür, dass die Digitalisierung Nachhaltigkeitsbestrebungen positiv beeinflussen kann.
Dabei ist es wichtig sich immer wieder vor Augen zu führen, dass Digitalisierung kein Selbstzweck ist. Der viel gepriesene Mehrwert der Digitalisierung kann nur dann erzielt werden, wenn alle Dimensionen der Triple Bottom Line berücksichtig, und ökonomische, ökologische und soziale Werte geschaffen werden.
Insbesondere im Operations Bereich von Unternehmen lassen sich entlang der Wertschöpfungskette verschiedene Anwendungsfälle für eine Konvergenz von Digitalisierung und Nachhaltigkeit finden, wie exemplarisch im Folgenden anhand des SCOR Modells verdeutlicht wird.
Planung (Plan)
Die Genauigkeit der Bedarfsprognose (Forecast Accuracy) ist in Unternehmen jedoch häufig suboptimal, und hat damit Auswirkungen auf die gesamte Supply Chain. Planungstools (z.B. SAP IBP, JDA, Kinaxis RapidResponse) können den Planungsprozess unterstützen, indem sie automatisiert historische Daten bereinigen, Einflussfaktoren berücksichtigen (demand sensing), ausbalancierte Demand und Supply Pläne erstellen, Szenarien simulieren, sowie Austausch zwischen den Funktionen, mit Lieferanten und Kunden ermöglichen. Im Zuge der Digitalisierung werden diese Tools immer leistungsfähiger und „smarter“, kognitive Technologien verarbeiten Bedarfssignale, und Entscheidungsprozesse werden durch prädiktive oder präskriptive Analyseverfahren verbessert. Auch wird der Aspekt der Kollaboration zunehmend berücksichtigt, nicht nur um funktionsübergreifenden Konsens zu erzielen, sondern auch um die Forecast Genauigkeit durch die Einbindung von Lieferanten und Kunden zu erhöhen. Kollektive Intelligenz kann hier zum Tragen kommen und dabei helfen, ressourcenintensive und langwierige IBP Meetings auf ein Minimum zu kürzen. Bestehende Planungssysteme können beispielsweise durch Tools/ Methoden der kollektiven Intelligenz ergänzt, und die Prognosen der einzelnen Stakeholder in Echtzeit berücksichtigt werden.
Beschaffung (Source)
Neuere digitale Lösungen umfassen den Einsatz von Formen der Künstlichen Intelligenz (KI) wie Robotics Process Automation (RPA) und Cognitive Computing, Kollaborationsplattformen, Big Data und Predictive Analytics, 3D Printing und Category Analytics. Die Anwendung dieser Lösungen ist an verschiedenen Stellen des Beschaffungsprozesses möglich, wobei sich der Schwerpunkt zunehmend auf die strategischen Prozesse im Warengruppen-, Innovations- und Lieferanten-Management verschiebt. Die traditionellen Werttreiber wie Kosten (Einsparungen, Effizienzen) und Risiken spielen dabei weiterhin eine große Rolle. Jedoch rücken Faktoren wie Innovationskraft, Kollaboration, Effektivität und Nachhaltigkeit immer mehr in den Fokus. Arbeitsintensive, transaktionale Tätigkeiten, auch im Bereich des strategischen Einkaufs, werden zunehmend automatisiert zugunsten von Tätigkeiten, die als besonders wertschaffend angesehen werden. Diese Tätigkeiten werden wiederum durch analytische, kognitive und prädiktive Technologien ergänzt, um nicht nur die Geschwindigkeit, sondern auch die Qualität und Effektivität von Entscheidungen zu erhöhen. Der Einkauf soll dabei zunehmend die Geschäftsführung bei der nachhaltigen Realisierung der strategischen Unternehmensziele unterstützen.
Doch was bedeutet „nachhaltig“ in diesem Kontext eigentlich? Oftmals wird der Begriff reduziert auf die ökonomische Dimension, im Sinne von Wettbewerbsfähigkeit durch Gewinnsteigerung, als Resultat von Umsatzwachstum und/oder sinkenden Kosten.
Gerade der Werttreiber Wachstum ist jedoch immer enger gekoppelt mit dem Konzept von Nachhaltigkeit – und zwar Nachhaltigkeit aus ökonomischer, sozialer und ökologischer Sicht. Nachhaltigkeit gilt nicht nur als Megatrend, sondern auch als „Business Imperative“ (Harvard Business Review 2010/ 2017).
„Businesses continuously derive their license to operate from the societies they supply. (…) Businesses which do not follow sustainable paths will finally lack profit, access to resources and people (customers and skilled employees).” (Wenzel, 2017)
Und wie kann nun der Einkauf, mithilfe digitaler Technologien, dazu beitragen, die aus Nachhaltigkeit resultierenden Werte für das Unternehmen zu heben? Die oben genannten Technologien können beispielsweise so genutzt werden, dass Nachhaltigkeitskriterien in analytischer, kognitiver oder prädiktiver/ präskriptiver Weise im Beschaffungsprozess berücksichtigt werden. Ob im Warengruppenmanagement, bei der Auswahl geeigneter Lieferanten und deren Bewertung, im (Lieferanten-) Risikomanagement oder im Innovationsmanagement (siehe auch Blog zu nachhaltiger Beschaffung). Anbieter von Nachhaltigkeitsbewertungen wie Sustainalytics, CDP oder RobecoSAM können dabei hilfreich sein.
Auch kann sich die Einbindung von dezidierten Tools und Plattformen in die bestehende Infrastruktur anbieten. So bieten beispielsweise EcoVadis und Sedex effiziente und skalierbare Plattformen mit CSR-/ Nachhaltigkeitsbewertungen für Lieferanten, sowie Rating-, Risiko- und Leistungsmanagement. Die Plattformlösungen von amfori helfen, Transparenz in die oft hoch komplexen Lieferketten zu bringen. Und Plattformen der Risikobewertung wie die von RBA (Responsible Business Alliance) können Einkäufer dabei unterstützen, Supply Chain Risiken proaktiv zu managen.
Produktion (Make)
Produzierende Industrien machen nach Angaben des WEF 41% des weltweiten Bruttoinlandsprodukts aus, die Produktion selbst einen Anteil von 15,6%. Gleichzeitig ist ihr ökologischer Fußabdruck erheblich: Hersteller verbuchen 54% des globalen Energieverbrauchs und sind für 20% der Treibhausgasemissionen verantwortlich.
„The production sectors are positioned directly at the nexus of economic impact and resource usage. Tomorrow’s manufacturers won’t be able to operate with the same resource intensity as past generations, and so now, more than ever, we must find ways to remain competitive and sustainable.” (WEF 2019).
Um diese Herausforderungen zu meistern, müssen Unternehmen die Möglichkeiten der Vierten Industriellen Revolution (Industrie 4.0) ergreifen und selbst zu Disruptoren werden. Digitale Technologien ermöglichen es den Organisationen, ihre Produktionsbereiche als Quelle von Wettbewerbsvorteilen zu positionieren, und gleichzeitig zur Erfüllung von Nachhaltigkeitszielen (Sustainable Development Goals – SDG) beizutragen. Fallstudien des WEF zeigen signifikante wirtschaftliche Vorteile und positive Wirkung auf die SDGs gleichermaßen, durch den Einsatz von Technologien wie Cobotics 2.0 (Collaborative Robots), Augmented Reality, 3D Druckern, biologischen Kunststoffen, Blockchain, und Augmented Electronic Design Automation (AEDA). So erwartet beispielsweise die Elektronik- und Automobilregion Andhra Pradesh in Indien durch diese sechs Technologien Wertvorteile von 5 Mrd. USD bis zum Jahr 2022. Zugleich werden u.a. 36.000 neue Jobs geschaffen, 125.000 Liter Wasser und 500.000 Tonnen CO2 eingespart, 170 Tonnen Plastik vermieden, sowie 1 Mio. Frauen geschult.
Lieferung (Deliver)
Die Digitalisierung im Logistikbereich basiert auf Charakteristiken wie Kooperation, Konnektivität, Integration, autonome Kontrolle und kognitive Verbesserungen. Digitale Technologien wie Robotics, Cloud, Sensoren, Dronen, Machine-to-Machine, Plattformen, autonomes Fahren und Data Analytics setzen an diesen Stellhebeln an.
Fallstudien des WEF zeigen zahlreiche Möglichkeiten, wie die Logistik digitalisiert und nachhaltig gestaltet werden kann. Nach Angaben des WEF können beispielsweise die Transportkosten durch gemeinsame Nutzung (Sharing) der Outbound-Logistik um 10-20% reduziert werden. 1,0-1,5% der Supply Chain Kosten und 1,5-2,5% der Treibhausgasemissionen können durch eine höhere Auslastung der LKWs eingespart werden.
So haben Amazon und Procter & Gamble mehrere gemeinsame Verteilungszentren, welche Amazon die Möglichkeit für schnellere Lieferungen und die Lagerung höherwertiger Produkte bieten, und P&G Einsparungen bei Transport- und Warenlagerkosten.
In der Türkei hat Unilever seine Verpackungen und Paletten neu gestaltet um die LKWs effizienter beladen zu können, wodurch Einsparungen in Höhe von 200.000 EUR und 277 Tonnen CO2 realisiert wurden.
Und Logistikanbieter wie DHL und UPS nutzen verbesserte Routing Software, um durch optimale Routenplanung Fahrtstrecke einzusparen.
Rückgabe (Return)
Digitale Technologien ermöglichen diese Geschäftsmodelle, wie Mobile, Social, Big Data Analytics, Cloud, Machine-to-Maschine, Tracking Systeme und 3D Drucker.
Fallstudien des WEF belegen, welche Vorteile finanzieller und ökosozialer Art Unternehmen am Ende des Produktlebenszyklus realisieren können. So verweist beispielsweise ASOS auf seinem Online Marktplatz auf über 750 Boutiquen, in welchen Kunden getragene Kleidung global verkaufen, und so deren Lebenszyklus verlängern können. Nike arbeitet mit innovativen Recycling-Materialien, welche über Nike’s Wiederverwendungsprogramm eingesammelt bzw. als Materialausschuss gewonnen werden.
Zusammenfassend lässt sich festhalten:
Digitalisierung und Nachhaltigkeit sind zwei Strömungen aus unterschiedlichen Richtungen, die zusammen in einen transformativen Strom der globalen Wirtschaft fließen. Digitale Technologien unterstützen den Business Case für Nachhaltigkeit indem sie Effizienzen heben, Transparenz und Nachvollziehbarkeit schaffen, Kollaboration und „Sharing“ ermöglichen, nachhaltige Produkte personalisieren und Kreislaufwirtschaften stärken. Konzepte der Nachhaltigkeit wiederum können dabei helfen, die Umweltauswirkungen von digitalen Technologien zu verringern, sowie den Business Case für Digitalisierung durch Life Cycle Costing (LCC) / Social Return on Investment (SROI) Ansätze zu untermauern. Unternehmen, die auf die Konvergenz von Digitalisierung und Nachhaltigkeit setzen, können sich dadurch signifikante Wettbewerbsvorteile sichern.
Osburg und Lohrmann (esg.) (2017): Sustainability in a Digital World. New Opportunities Through New Technologies.
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